Im Juli 2013 publizierte das Journal of the National Cancer Institute die Ergebnisse einer Untersuchung (1), die am Fred Hutchinson Cancer Research Center durchgeführt wurde. Es geht dabei um mögliche Zusammenhänge zwischen hohen Omega-3-Fettsäurekonzentrationen im Blut und Prostatakrebs. Mehrere Massenmedien haben dieses Ergebnis als Faktum aufgegriffen.
Es handelt sich dabei um eine eingebettete Fall-Kontroll-Studie an 834 Patienten mit Prostata-Ca aus der SELECT-Studie [SELenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (3)]. 156 von ihnen zeigten hochgradiges Prostata-Ca. Die Kontroll-Subkohorte bestand aus 1393 Männern, die randomisiert und nach Alter und Rassenzugehörigkeit gematcht waren.
Untersucht wurden die Phospholipid-Fettsäuren im Plasma und das Prostatakrebs-Risiko.
Verglichen mit den Männern im niedrigsten Omega-3-FS-Quartil, hatten die Patienten im höchsten Quartil ein erhöhtes Risiko für niedriggradige und hochgradige Tumore sowie ein generell erhöhtes Risiko. Ähnlich waren die Ergebnisse für einzelne langkettige Omega-3-FS. Höhere Werte für Linolsäure waren mit einem reduzierten Risiko für niedriggradige Tumore und Postata-Ca generell verbunden; eine Ermittlung zur Dosis-Wirkung-Beziehung gab es nicht.
Die Wissenschaftler finden mit diesen Ergebnissen, die Ergebnisse einer von ihnen durchgeführten Untersuchung aus dem Jahr 2011 (2) bestätigt. Sie halten es für wahrscheinlich, dass Omega-3-Fettsäuren trotz ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften in die Tumorgenese von Prostata-Ca involviert seien und dass deshalb die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren in größerer Menge sorgfältig überlegt werden müsse.
Die Studie liefert aber keine Angaben über Zusammenhänge zwischen Omega-3-Fettsäuren und dem Verlauf einer bereits diagnostizierten Tumorerkrankung.
Unklar sei, warum höhere Omega-3-FS-Spiegel das Risiko für Prostata-Ca erhöhen – es werde weitere Studien benötigen, um mögliche Mechanismen zu klären. Dr. Kristal führte aus, dass der Unterschied im FS-Spiegel zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Quartil 2,5 Prozentpunkte betrug (3,2 vs 5,7 %), das ist etwas mehr, als sich aus zwei Lachsmahlzeiten pro Woche ergibt.
So relativ eindeutig, wie sich das Ergebnis in der Studie darstellt, ist es aber offenbar nicht. So hält das deutsche Ärzteblatt in einem Bericht vom 11. Juli 2013 fest: „Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass beide Untersuchungen von Kristal als retrospektive Analysen fehleranfällig sind und deshalb nicht ausschließen, dass künftige Studien zu völlig anderen Ergebnissen kommen.“
Dr. Robert Rountree (Boulder, USA) präzisiert diese Skepsis:
Es handelt sich um eine eingebettete Fall-Kontroll-Studie, die Ursprungsstudie (3) war nicht auf die Untersuchung eines möglichen Zusammenhanges zwischen Omega-3-Fettsäuren und Prostata-Ca-Risiko abgestellt.
- Die Ergebnisse dieser neuen Untersuchung widersprechen anderen Studien, die einen günstigen Zusammenhang von Omega-3-FS und Prostata-Ca zeigen und speziell auf diese Fragestellung hin zugeschnitten waren [z.B. (4)(5)]
- Einen einzelnen physiologischen Marker in einer bestimmten Personengruppe zu identifizieren, in diesem Fall einen höheren Omega-3-FS-Spiegel bei Männern mit Prostata-Ca, weist keinen Zusammenhang nach, erst recht nicht, wenn dieser Marker durch die Ernährung stark beeinflussbar ist und nur ein einziges Mal ermittelt wurde. Denn die Auswertung beruht ausschließlich auf diesem einmal gemessenen Wert und zieht keine Ernährungsgewohnheiten oder Supplementierung mit Omega-3-FS in Betracht.
- Wesentlich aussagekräftiger wäre eine Bestimmung von EPA und DHA in den roten Blutkörperchen gewesen, weil das ein genauerer Indikator für Langzeiteinnahme von Omega-3-FS und den Gewebegehalt ist als der Plasmawert, der tagesabhängig stark schwanken kann. (Bereits eine Fischmahlzeit am Vortag der Messung kann den Plasmawert deutlich anheben.)
- Einige weitere Risikofaktoren können die Ergebnisse beeinflusst haben, auch wenn die Forscher sich bemüht haben, sie zu berücksichtigen. So waren 53% der Patientengruppe Raucher, 64% konsumierten regelmäßig Alkohol, 30% hatten zumindest einen nahen Verwandten mit Prostatakrebs, 80% der Patienten waren übergewichtig bzw. adipös.
- Wenn man die umfangreiche Literatur in Betracht zieht, die die antiinflammatorischen Eigenschaften von Omega-3-FS belegt, findet sich kein überzeugender biologischer Mechanismus (und diese neue Untersuchung kann ebenfalls keinen nennen), der erklären würde, warum diese essentiellen Fettsäuren das Entstehen von Prostata-Tumoren begünstigen sollten.
Ähnlich sind auch die Kritikpunke der IADSA (International Alliance of Dietay/Food Supplement Associations). Ihre ausführliche Stellungnahme (englisch) ist hier nachzulesen.
Stellungnahme (PDF)
(Zusammenstellung: PreventNetwork)
(1) Brasky TM, Darke AK, Kristal A, et al. Plasma Phospholipid Fatty Acids and Prostate Cancer Risk in the SELECT Trial. J Natl Cancer Inst, 2013 Jul 10 [Epub ahead of print]
(2) Brasky TM, Till C, Kristal AR, et al. Serum phospholipid fatty acids and prostate cancer risk: results from the prostate cancer prevention trial. Am J Epidemiol. 2011 Jun 15; 173(12):1429-39. Epub 2011 Apr 24.
(3) The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). Die Studie wurde 2008 nach einer Zwischenauswertung vorzeitig beendet, weil sich keine positive bzw. tw. eher negative Ergebnisse zeigten.
(4) Torfadottir JE, Valdimarsdottir UA, Mucci LA, et al. Consumption of Fish Products across the Lifespan and Prostate Cancer Risk. PLoS One, April 2013, vol 8,4.
(5) Leitzmann MF, Stampfer MJ, Michaud DS, et al. Dietary intake of n-3 and n-6 fatty acids and the risk of prostate cancer. Am J Clin Nutr, 1004 Jul;80(1):204-16. |