Ist L-Arginin gefährlich für Patienten nach Herzinfarkt?
Stellungnahme: Kathleen A. Head, ND, Alan L. Miller, ND
Seit einigen Monaten hört man immer wieder von möglicher Gefährlichkeit der Aminosäure
L-Arginin für herzkranke Patienten. Die Meldungen beziehen sich auf folgende Studie:
Schulman SP; Becker LC; Kass DA; Champion HC; Terrin ML; Forman S; Ernst KV; Kelemen MD; Townsend SN; Capriotti A; Hare JM; Gerstenblith G: Division of Cardiology, John Hopkins Medical Institutions, Baltimore, USA: L-arginine therapy in acute myocardial infarction: the Vascular Interaction With Age in Myocardial Infarction (VINTAGE MI) randomized clinical trial. JAMA 2006 Jan 4;295(1):58-64
Nachfolgend eine erste Stellungnahme von Kathleen A. Head, ND, und Alan L. Miller, ND, beide USA (Übersetzung aus dem Amerikanischen von PreventNetwork)
und ein ergänzender Kommentar von PreventNetwork
Zur Supplementierung von L-Arginin bei Personen nach Herzinfarkt
Eine am 4. Januar 2006 im JAMA publizierte Studie eröffnet den Reigen der diesjährigen Angriffe auf Nahrungsergänzungen. Forscher an der John Hopkins Universität haben ein Kollektiv von 153 Patienten nach akutem Myokardinfarkt (bzw. Herzanfall) in diese Studie einbezogen (Anm: Die Studie lief von 2002 bis 2004). Die Hälfte von ihnen bekam über 6 Monate L-Arginin (500 mg/Kapsel ohne kontinuierliche Freisetzung), die andere Hälfte Plazebo. Es wurde mit 3g/die begonnen und allmählich auf 9g/die gesteigert. Ziel war, die Auswirkung auf Blutgefäße und Herzfunktion zu erfassen und gleichzeitig mögliche andere Wirkungen zu registrieren. Noch während weitere Teilnehmer für die Studie gesucht wurden, beschloss man, sie abzubrechen, weil sechs Patienten der L-Arginin-Gruppe verstarben. In der Plazebogruppe verstarb in diesem Zeitraum niemand.
Das wurde von den Medien sofort lautstark verbreitet als Beweis der Gefährlichkeit von L-Arginin bei Patienten nach Herzinfarkt. Aber schauen wir die Studie und ihr Ergebnis näher an:
Von den 6 Patienten, die starben,
- starb einer nach einem weiteren Infarkt (kein ungewöhnliches Ereignis bei Infarktpatienten);
- zwei starben „vermutlich an Sepsis“, was bedeutet, dass sie sehr krank und im Spital waren;
- zwei wurden tot zuhause aufgefunden – eine Todesursache führt die Studie nicht an;
- einer starb vier Monate nach dem Infarkt und drei Wochen nach Beendigung der L-Arginin-Supplementierung. Die Todesursache ist auch in diesem Fall nicht angeführt.
Diese Todesfälle, so bedauerlich sie auch sind, können nicht der Einnahme von L-Arginin zugeschrieben werden. Sie liegen durchaus im Rahmen der statistischen Wahrscheinlichkeit, was die Forscher auch zugeben. Trotzdem wird weiter gegen die Einnahme von L-Arginin bei Infarktpatienten geschrieben.
Um schlüssige Aussagen über die Sicherheit von L-Arginin in dieser Studie zu machen, gibt
es vor allem ein Problem: Die Forschergruppe konnte nicht nachweisen, dass das Patientenkollektiv dieser Studie das L-Arginin tatsächlich resorbiert hat. Denn die Plasmaspiegel von L-Arginin waren in der Verum- und der Plazebogruppe praktisch gleich.
Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die zeigen, dass L-Arginin die Gesundheit der Blutgefäße verbessert, den Blutdruck senkt und die Durchblutung insgesamt erhöht. Es war ein ehrgeiziger, aber vermutlich falscher Ansatz der Forschergruppe zu meinen, dass ein Mikronährstoff wie L-Arginin in nur sechs Monaten einen schweren jahrelangen Krankheitsprozess und die aus dem Herzinfarkt resultierenden Schäden in sechs Monaten rückgängig machen könnte.
Aber Tote machen Schlagzeilen, z.B.:
Sag einfach nein zu L-Arginin bei Herzinsuffizienz! (CNN.com) – Die Studie hatte nichts mit Herzinsuffizienz zu tun.
Und MSNBC.com schrieb:
Nahrungsergänzung kann Herzpatienten schaden. Sechs Freiwillige, die L-Arginin nahmen, starben, berichten die Forscher. Patienten nach Herzanfällen sollten die Nahrungsergänzung
L-Arginin meiden…
Die Forscher waren verantwortungsvoll genug zu sagen, dass ihre einschränkende Empfehlung sich nur an Patienten richtet, die vor kurzer Zeit einen Herzinfarkt hatten. Die oberflächliche Medienberichterstattung über die Studie hat leider dazu geführt, dass viele Personen, die L-Arginin wirklich benötigen, es nun nicht mehr nehmen aus Angst, es würde sie umbringen.
Kommentar von PreventNetwork:
Hinweise für einen erfolgversprechenden Einsatz von L-Arginin gibt es
bei verschiedensten Indikationen. Für den Bereich der kardiovaskulären
Erkrankungen sind dies – kleineren und größeren Studien zufolge – vor
allem: Angina Pectoris, kongestive Herzinsuffizienz, Bluthochdruck,
Claudicatio intermittens (1).
…
Der Wirkmechanismus ist die Verbesserung der NO-Produktion im Endothel.
Eine Langzeitstudie, die an der Mayo Clinic in Rochester, USA
durchgeführt wurde (2), bestätigt die Verbesserung der
Endothelfunktion. L-Arginin gehört, wie im Internetauftritt der Klinik
nachgelesen werden kann, bereits seit längerer Zeit zu den
Therapieoptionen bei kardiovaskulären Erkrankungen.
Um einen möglichst konstanten L-Argininspiegel und damit eine
kontinuierliche Stimulation der NO-Produktion zu erreichen, gibt es
L-Arginin inzwischen auch als Kapseln mit kontinuierlicher Freisetzung,
die eine Reduzierung der Dosierung erlaubt ohne Minderung der Effizienz.
(Bezugsquelle für Europa: Centropa Maastricht/Aachen/Wien). |
(1) Monograph L-Arginine. Alt Med Rev, Vol 10(2005),2:139-147
(2) Lerman A, Burnett JC Jr, Higano ST, McKinley LJ, Holmes DR Jr.: Long-term L-arginine supplementation improves small-vessel coronary endothelial function in humans. Circulation. 1999 Mar 30;99(12):1648-9 |