Was sind Stoffwechselschlacken?
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Der Beitrag wurde in der Zeitschrift Erfahrungsheilkunde, Heft 4/1989,
publiziert. PreventNetwork dankt dem Autor für die Überlassung des
Textes. Er wurde der geltenden Rechtschreibung angepasst.
von Univ.-Prof. Dr.med. Karl Pirlet, Garmisch-Partenkirchen 1)
Wer Patienten zu einer Änderung der Ernährungsweise (auch im Zusammenhang mit Entgiftungsprogrammen) motivieren muss, findet im nachfolgenden Beitrag eine übersichtliche Zusammenstellung als Grundlage für Erklärungen.
Zusammenfassung
Schlacke ist das Abfallprodukt bei der Verbrennung von Steinkohle und Koks sowie beim Ausschmelzen von Erz. Die wissenschaftliche Medizin hat immer wieder Begriffe aus naturhaften und technischen Abläufen auf biologische Phänomene übertragen, um diese biologischen Phänomene bildhafter und begreifbarer zu machen.
Mit dem Wort "Schlacken" sollten die eliminationspflichtigen Zwischen- und Endprodukte des Stoffwechsels summarisch gekennzeichnet werden - Stoffe, die beim Umbau und Abbau protoplasmatischer Strukturen anfallen, vor allem Stoffe, die in zu großer Menge gebildet oder nicht ordnungsgemäß weitergeschleust und abgebaut und die dann in meist bradytrophe Räume eingelagert werden - etwa in den Interstinal-Raum, in die Gefäßwand, in die Strukturen des Bewegungsapparates.
Ist der Arzt Physiotherapeut, ist er physikalisch-therapeutischer und diätetisch-therapeutischer Berater des Patienten, so muss er den Patienten für die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen motivieren. Er muss ihm die physiologischen und die pathogenetischen Zusammenhänge "klar machen". Der Patient soll sich "ein Bild machen können" - von dem, was in ihm vorgeht, was bisher passiert ist und was nun zu tun ist. Auf die Ausdrücke "Verschlackung" und "Entschlackung" kann und braucht der Physiotherapeut nicht zu verzichten.
Nach einem Artikel des Wochenmagazins "Der Spiegel" (Nr. 11/1988) über das Fasten bestreiten einige Wissenschaftler die Existenz von Stoffwechselschlacken. Demnach gäbe es im Körper nirgendwo Schlacken. Ein Experte des Max-Planck-Institutes in München habe sogar geurteilt: "Schlacken? Das ist ein fürchterlicher Quatsch.". Und ein anderer Ernährungsforscher habe nirgendwo Schlacken gesichtet und wisse daher auch nicht, was im Körper entschlackt werden sollte.
Was versteht man unter Stoffwechselschlacken?
Schlacke ist das Abfallprodukt bei der Verbrennung von Steinkohle und Koks. Hochofenschlacke ist der "unreine Abfall" beim Erzschmelzen. Die Schlacke wird abgestochen und verworfen.
Die naturwissenschaftliche Medizin hat viele Begriffe aus unserer erfahrbaren Welt, aus naturhaften und technischen Abläufen, auf biologische Phänomene übertragen - um eben diese biologischen Phänomene bildhafter und begreifbarer zu machen. Wir sprechen tagtäglich von Entzündung; nie hat es in uns einen Zündfunken gegeben, Kohlenhydrate und Fette werden in unserem Körper zu CO2 und H2O "verbrannt"; nie hat jemand bei dieser Verbrennung ein Feuer gesehen.
So ist auch die Übernahme des Wortes "Schlacke" in unseren medizinischen Sprachschatz zu verstehen. Man wollte die eliminations-pflichtigen Zwischenprodukte und Endprodukte des Stoffwechsels summarisch kennzeichnen. In diesem Sinne sind all die Substanzen zu diskutieren, die beim ständigen Abbau und Umbau in unserem Körper entstehen - beim ständigen "Wechsel der Stoffe".
1.
Bei der bakteriellen Zersetzung unverdauter Nahrungsstoffe entstehen Phenole, Indole, aromatische und aliphatische Amine, Polyamine wie Kadaverin und Putreszin, Nitrosamine, Formaldehyd aus Methanol, hochmolokulare Alkohole, die sogenannten Fuselöle, und andere, noch unbekannte Substanzen. Diese Stoffe sind zum großen Teil zytotoxisch, hepatotoxisch, hämatotoxisch, immunotoxisch, neurotoxisch, mutagen, damit karzinogen bzw. kokarzinogen.
Sie sind im gesamten Körperraum nachzuweisen und werden nach der Kinetik erster Ordnung (e-Funktion) - etwa wie Medikamente - aus dem Körper eliminiert, die Pharmakologen sagen "ausgewaschen". Sie werden nicht abgelagert. Sie hinterlassen aber nach Maßgabe ihrer Toxizität langanhaltende Schäden an zellulären Strukturen und biochemischen Funktionssystemen.
Hier sind die Vokabel Vergiftung und Entgiftung, Intoxikation und Detoxikation angebracht, nicht die Worte Verschlackung und Entschlackung. Diätetisch-therapeutische Aufgabe ist es, diese Stoffe erst gar nicht entstehen zu lassen.
2.
Physiologische Stoffwechsel-Zwischenprodukte werden in zu großer Menge gebildet, können nicht weitergeschleust und abgebaut werden, können nicht eliminiert werden.
Einige Beispiele:
a)
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Bei der Arteriosklerose produzieren die Myozyten der Arterienwand -
multipotente Mesenchymzellen - in Muskularis und Intima überreichlich
Kollagen, Proteoglykame, saure Mucopolysaccharide. Die Gefäßwandzellen
werden von ihren eigenen Stoffwechselprodukten ummauert; die Gefäßwand
sintert zu. Perfundierende Lipoproteine und schwerlösliche
Calcium-Komplexsalze bleiben hängen.
Die Arterienwand "verschlackt".
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b)
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Überreichlich zugeführte Nahrung, insbesondere Nahrungseiweiße tragen
dazu bei, dass es zur Einlagerung von Kollagen und Proteoglykanen in
die Basalmembran der Kapillaren und in den Interstitialraum kommt. Der
Stoffaustausch auf dieser Transitstrecke zwischen Blut und Zelle - der
Zustrom von Nährstoffen wie auch der Abstrom von
Stoffwechsel-Endprodukten - wird zunehmend erschwert.
Das Interstitium
"verschlackt". |
c)
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Der Muskel pumpt Stoffwechselendprodukte - nach Maßgabe eines steilen
Druckgradienten - durch lange Saftspalten in die Sehnen und
Sehnenansätze, in die Bänderhülle der Gelenke, damit auch in die innen
aufliegende Synoviatis und in die Synovia. Von der Qualität der
Gelenkflüssigkeit hängt aber die trophische Versorgung des
Gelenkknorpels ab. Am Beginn der Arthrose steht - neben der
Fehlbelastung des Gelenkes - die "Einschlackung" in den
Weichteilmantel, in den Nährmantel des Gelenkes.
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d) |
Kohlenhydrate und Fette werden zu Kohlensäure und Wasser abgebaut.
Kohlensäure wird abgeatmet: Wasser wird über die Nieren ausgeschieden.
Die Endprodukte des Eiweißabbaus dagegen sind toxisch. Die Leber macht
die anfallenden Substanzen z. T. wasserlöslich und damit nierengängig -
etwa Ammoniak, das zu Harnstoff verarbeitet wird. Die wichtigsten
physiologischen Eiweißabbauprodukte - Stoffe von hoher Toxizität -
kennen wir noch gar nicht. Bei Niereninsuffizienz steigt ihr Pegel an;
wir sprechen dann von Urämiegiften.
Mit der künstlichen Niere werden
sie ausgewaschen. An ihrer Existenz zweifelt niemand. Diskutiert wurden
die sogenannten Mittel-Moleküle mit einem Molekulargewicht von 500 bis
5000 Dalton. Neuerdings sind andere Stoffgruppen im Gespräch.
Jedenfalls handelt es sich um Endprodukte des Eiweißstoffwechsels, die
auch von jedem Gesunden laufend ausgeschieden werden müssen, die aber
bei hoher Konzentration zur Schädigung sämtlicher Organ- und
Zellsysteme führen. Die Nephrologen sprechen von Toxinen, von Schlacken.
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3.
Alle protoplasmatischen zellularen Strukturen unseres Körpers werden innerhalb weniger Tage oder Wochen abgebaut, ausgetauscht, erneuert. Ein ständiges Sterben und Neuwerden, ein ständiges Altern und Regenerieren. Die Endprodukte dieses "Wechsels der Stoffe" müssen entgiftet und ausgeschieden werden. Wie zahllose wissenschaftliche Studien und experimentelle Daten gezeigt haben, werden physiologischerweise (!) nur gealterte Zellen, gealterte Proteine, gealterte Individuen diesem Austausch unterzogen - nach Maßgabe der biologischen Halbwertzeit bzw. der mittleren Lebenserwartung. Dagegen werden kranke Individuen und pathologisch veränderte Zellen und Teilstrukturen schon zu einem früheren Zeitpunkt in diesen Austausch einbezogen.
Dieser auslesende Erneuerungsprozess läuft ununterbrochen in uns ab - in seiner Intensität weitgehend unabhängig von diätetischen Einflussnahmen. Therapeutisch können wir aber die Voraussetzungen für einen qualitativ besseren Neuaufbau schaffen - durch angemessenes Nahrungsangebot und durch optimale Aufschließung im Verdauungstrakt. Im Darm dürfen keine bakteriellen Zersetzungsstoffe gebildet und in den "intermediären Stoffwechselraum" eingeschleust werden.
Mein Fazit: Der medikamentöse Therapeut - vorwiegend am Symptom orientiert - schreibt ein Rezept. Eine detaillierte Erörterung der pathogenetischen Hintergründe ist in der Regel nicht notwendig. Anders der Physiotherapeut. Er gibt nur Rat, gibt Empfehlungen. Der Patient ist es, der hier das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen hat. Dazu muss er motiviert werden.
Der Arzt muss ihm die physiologischen und die pathogenetischen Zusammenhänge in möglichst schlichter und knapper Form "klar machen". Der Patient muss sich "ein Bild machen können" - von dem, was in ihm vorgeht, was bisher passiert ist und was nun zu tun ist.
Und für diese Aufgabe braucht der Arzt einfache, verständliche Bilder und Vokabel - aus der Erfahrungswelt des Patienten. So wie es die naturwissenschaftliche Medizin, wie es Kliniker und Theoretiker auch immer gepflegt haben - schon der eigenen Verständigung zuliebe. Beispiele gibt es zur Genüge. Mit wissenschaftlichen, meist dann lateinischen Formulierungen, helfen wir dem Patienten nicht; wir verwirren ihn nur und verunsichern ihn.
Wir dürfen und müssen dem Patienten sagen - und dabei können wir uns auf handfeste physiologische und pathopysiologische Fakten stützen: Die "Vergiftung vom Darm" muss abgestellt werden; eine weitere "Verschlackung" der Geweberäume, der Gefäßwände, des Muskel-, Sehnen-, und Bandapparates muss verhindert werden: die "Entschlackung", die Ausschleusung von Stoffwechselprodukten aus den Geweberäumen, aus dem Körper, muss gefördert werden. Für diese Aufgaben seht ein breites diätetisch- therapeutisches Repertoire zur Verfügung.
Literatur beim Verfasser
1) Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Karl Pirlet, em. Ordinarius der Universität Frankfurt, Hörmannstr. 22, D 82467 Garmisch-Partenkirchen)
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